Fülszöveg
AGNES GÜNTHER
die heilige und ihr narr
Zur Weihnachtszeit, als der Wald sein schönstes Kleid angelegt hatte und nur zuweilen ein feines Klingeln, ein Seufzen, mit dem ein Zweig einen Teil seiner Last, die ihm zu schwer geworden war, abschüttelte, die stille unterbrach, sah der verarmte Graf Harro Thorstein das junge Fürstenkind Rosmarie zum erstenmal. Vor der kalten Pracht der Burg von Brauneck, wo das zarte Geschöpf seit dem Tode seiner Mutter ohne Liebe aufgezogen wurde, war es in den Wald geflüchtet, um das Christkind zu suchen. Mit seinem feinen Gefühl für Kinderseelen gewann Harro das Vertrauen des elfengleichen Mädchens, das für sein Alter seltsam tief empfand und, wie er später erkannte, das zweite Gesicht hatte. Er wurde nun der einzige Trost des armen Seelchens, wie er das Mädchen nannte, das ihm nach und nach seine Seele erschloß. Da zog auf Brauneck eine neue Herrin ein, eine junge schöne Frau, die für das Kind jedoch keine Liebe empfand. Sie war es auch, die den...
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Fülszöveg
AGNES GÜNTHER
die heilige und ihr narr
Zur Weihnachtszeit, als der Wald sein schönstes Kleid angelegt hatte und nur zuweilen ein feines Klingeln, ein Seufzen, mit dem ein Zweig einen Teil seiner Last, die ihm zu schwer geworden war, abschüttelte, die stille unterbrach, sah der verarmte Graf Harro Thorstein das junge Fürstenkind Rosmarie zum erstenmal. Vor der kalten Pracht der Burg von Brauneck, wo das zarte Geschöpf seit dem Tode seiner Mutter ohne Liebe aufgezogen wurde, war es in den Wald geflüchtet, um das Christkind zu suchen. Mit seinem feinen Gefühl für Kinderseelen gewann Harro das Vertrauen des elfengleichen Mädchens, das für sein Alter seltsam tief empfand und, wie er später erkannte, das zweite Gesicht hatte. Er wurde nun der einzige Trost des armen Seelchens, wie er das Mädchen nannte, das ihm nach und nach seine Seele erschloß. Da zog auf Brauneck eine neue Herrin ein, eine junge schöne Frau, die für das Kind jedoch keine Liebe empfand. Sie war es auch, die den Ausschlag dazu gab, daß das Prinzeßchen von seinem Harro getrennt wurde. Schließlich war er in ihren Augen ja nur ein verarmter Graf, der -seinen Lebensunterhalt durch (Fortsetzung auf der rückwärtigen Seite)
(Fortsetzung von der vorderen Seite) Malerei und Bildhauerei verdiente. Rosmarie wurde langsam eine junge Dame, wie leicht konnte da aus einer Kinderfreundschaft etwas Ernstes werden. Doch auch Neid und Eifersucht trugen zu diesen Ober-legungen bei: wie konnte der Graf dieses hochgeschossene Mädchen ihr vorziehen?
Jahre vergingen. Um ihrem Vater einen tiefen Schmerz zu ersparen, ertrug das empfindsame Mädchen geduldig ein großes Unrecht, das ihr von ihrer Stiefmutter, der Fürstin, zugefügt worden war. Doch gerade dieses erlittene Unrecht, das sie schwer krank werden ließ, führte sie wieder mit ihrem geliebten Harro zusammen, dem sie endlich als Gattin angehören durfte und der sie nach wie vor wie eine Heilige verehrte.
Aber noch immer schwebte das Verhängnis in Gestalt der Fürstin, die ihrer Stieftochter das Glück mit Harro und ihre Jugend neidete, über ihnen. Unbarmherzig schlug diese Frau zu, und nun offenbarte sich überdeutlich die seelische Größe der jungen Gräfin, die ihrer Widersacherin aus tiefstem Herzen ver-gab und deren Herz gewann, so daß die Fürstin schließlich ihren eigenen Sieg beweinte.
Gestaltung des Schutzumschlages: Volkmar Reiter
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Die Heilige und ihr Narr
Zur Weihnachtszeit sah der verarmte Graf Harro Thorstein das junge Fürstenkind Rosmarie zum erstenmal. Vor der kalten Pracht der Burg von Brauneck, wo das zarte Geschöpf seit dem Tode seiner Mutter ohne Liebe aufgezogen wurde, war das Mädchen in den Wald geflüchtet.
Mit seinem feinen Gefühl für Kinderseelen gewann Harro nach und nach das Vertrauen des elfengleichen Wesens, das für sein Alter seltsam tief empfand. Da zog auf Brauneck eine neue Herrin ein, eine junge, schöne Frau, die für das Kind jedoch keine Liebe empfand und es bewirkte, daß Rosmarie von Harro getrennt wurde. Jahre vergingen. Dem empfindsamen Mädchen war durch seine Stiefmutter schweres Unrecht zugefügt worden. Doch gerade dieses erlittene Unrecht führte sie wieder mit ihrem geliebten Harro zusammen
Vissza