Fülszöveg
Die von Adolf Frisé in langjähriger Arbeit besorgte Neuedition von Robert Musils Roman «Der Mann ohne Eigenschaften» wird hier in einer preiswerten Sonderausgabe vorgelegt, die auch den erweiterten Nachlaßteil enthält.
Als der erste Band des Romans Anfang der dreißiger Jahre bei Rowohlt erschien, wurde er immer wieder mit dem «Ulysses» von James Joyce und mit Marbel Prousts Gesellschaftsepos «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit» verglichen.
In den letzten Jahren meldeten sich, vor allem im Ausland, Stimmen, die. Musils Roman noch über Proust und Joyce, auch über Kafkas «Prozeß», Thomas Manns «Zauberberg» und «Doktor Faustus» stellten.'Robert Musil ist heute als einer der großen Erzähler unseres Jahrhunderts anerkannt und für viele unbestritten der gewichtigste deutschsprachige Romancier.
Mit einer Ironie, für die es in der deutschen Literatur kein anderes Beispiel gibt, erzählt Musil ein einziges Jahr der sterbenden Donaumonarchie und ihrer kranken Gesellschaft: die Wende...
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Fülszöveg
Die von Adolf Frisé in langjähriger Arbeit besorgte Neuedition von Robert Musils Roman «Der Mann ohne Eigenschaften» wird hier in einer preiswerten Sonderausgabe vorgelegt, die auch den erweiterten Nachlaßteil enthält.
Als der erste Band des Romans Anfang der dreißiger Jahre bei Rowohlt erschien, wurde er immer wieder mit dem «Ulysses» von James Joyce und mit Marbel Prousts Gesellschaftsepos «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit» verglichen.
In den letzten Jahren meldeten sich, vor allem im Ausland, Stimmen, die. Musils Roman noch über Proust und Joyce, auch über Kafkas «Prozeß», Thomas Manns «Zauberberg» und «Doktor Faustus» stellten.'Robert Musil ist heute als einer der großen Erzähler unseres Jahrhunderts anerkannt und für viele unbestritten der gewichtigste deutschsprachige Romancier.
Mit einer Ironie, für die es in der deutschen Literatur kein anderes Beispiel gibt, erzählt Musil ein einziges Jahr der sterbenden Donaumonarchie und ihrer kranken Gesellschaft: die Wende von 1913 auf 1,914. Ein endlos scheinendes Jahr lang bewegen sich Musils Menschen langsam auf Sarajewo, auf den Schatten, auf den Schrek-ken, auf die Drohung des Krieges zu. Die Zentralfigur des Romans ist Ulrich, Sohn eines arrivierten Juristen, ehemaliger Kavallerieoffizier, studierter Philosoph, geschulter Mathematiker, ein von der Gesellschaft wie von den Frauen ebenso verwöhnter wié umworbener Außenseiter, eben der «Mann ohne Eigenschaften»: das Paradoxon eines Romanhelden (ein moderner Nicht-Held), so unpersönhch, daß sein Famihenname gar nicht erst genannt wird, ein anonymer - aber auch so unverwechselbarer wie austauschbarer - Repräsentat seiner Zeit.
Der weitgezogene Kreis seiner Mit- und Gegenspieler exemplifiziert alle Möglichkeiten menschlichen Verhaltens: vom wahnsinnigen Sexualverbrecher - Modellfall eines Triebtäterts - Moosbrugger bis zum olympisch seigneuralen Großkaufmann und «Großschriftsteller» Dr. Paul Arnheim, zu dem Musil eine frühe Begegnung mit Walther Rathenau inspirierte, von dem klassi.schen österreichischen Ballhausplatz-Diplomaten Tuzzi oder
dem schon symbolischen Aristokraten Leinsdorf, hinter dem einiges vom Bild des christlich-sozialen Politikers Alois Prinz von und zu Liechtenstein erkennbar wird, bis zu dem tragisch sich selbst aufgebenden jungen Rassisten und österreichischen Deutschland-Schwärmer Hans Sepp, von dem liebenswert geisthungrigen k. u. k. General Stumm von Bordwehr bis zum skeptisch aufgeklärten Bankdirektor Leo Fischel, wider Willen, ja wider seine Ideale wie seine Natur Prototyp des Businessman, von dem elitär hochfahrenden.Männerbundprophieten Meingast, dessen Figur ursprünglich auf Erfahrungen mit dem Philosophen Ludwig Klages («Der Geist als Widersacher der Seele») zurückgeht, bis zu dem bigott asketischen Pädagogen Professor August Lindner, dem der christliche Ethiker Friedrich Wilhelm Foerster entscheidende Züge lieh, oder zu dessen Amtskollegen Gottlieb Hagauer, der mit Worten des Reformpädagogen Georg Kerschensteiner spricht, oder auch bis zu dem erbittert revolutionär gesinnten Jungsozialisten Schmeißer, von der esoterischen Salonkönigin und fin de siecle-Schönheit Diotima bis zu der träum- und wahnbesessenen, anrührend knabenhaft entrückten Ciarisse, ihrem als genialisch geltenden, von ihrem Genie-Anspruch indes hoffnungslos überforderten Gefährten Walter (den Porträts zweier Jugendfreunde Musils). Ulrichs faszinierendste und rätselvollste Mitspielerin, sein Gegenbild, aber ist seine Schwester Agathe. Sie verführt ihren Bruder zu einem der geheimnisvollsten, zartesten und zugleich kühnsten Liebesexperimente («der letzten Liebesg'eschichte») der Weltliteratur.
Der Roman bietet jenes Österreich aber nur als Spiegel, in dem man alle Krankheiten dieses Jahrhunderts erblickt, bloßgelegt bis in die geheimsten Wurzeln. Musil desillu-sioniert Schicht für Schicht. Das Ergebnis ist die vollendete Durchdringung der Welt. Der Anstoß zu diesem großen Buch war die Suche nach dem Abenteuer, das Mensch heißt. Der Weg dorthin führt über eine Analyse von erregender Rücksichtslosigkeit und Genauigkeit, aber er endet auf einer Höhe der Erkenntnis, die den gewagtesten Daseinsfragen unserer Zeit die Antwort nicht versagt.
Rowohlt
Vissza