Fülszöveg
In diesem Buch ergreift der Mann das Wort, der der dienstälteste Außenminister der Welt und die feste Größe der nationalen wie internationalen Politik gewesen ist. Hans-Dietrich Genscher, in der Regierung Brandt/Scheel zunächst fünf Jahre lang Bundesminister des Inneren, hat seit 1974 der deutschen Politik im internationalen Raum zu einem Ansehen und Einfluß verhelfen, wie es ihn seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gegeben hat. RAF-Terrorismus und Guillaume-Affäre, NATO-Doppelbeschluß und Koalitionswechsel, vor allem aber der Fall der Mauer und was er nach sich zog: die Zwei-plus-Vier-Gespräche, das Treffen im Kaukasus und der Vertrag mit Polen über die Oder-Neiße-Grenze - blickt man auf die letzten fünfundzwanzig Jahre deutscher Geschichte, wird man kaum ein Ereignis finden, mit dem Genscher nicht auf die eine oder andere Weise in Verbindung steht. Wie sieht das Leben dieses Mannes aus, was waren die Erfahrungen, die ihn geprägt haben? Es war eine politische Biographie...
Tovább
Fülszöveg
In diesem Buch ergreift der Mann das Wort, der der dienstälteste Außenminister der Welt und die feste Größe der nationalen wie internationalen Politik gewesen ist. Hans-Dietrich Genscher, in der Regierung Brandt/Scheel zunächst fünf Jahre lang Bundesminister des Inneren, hat seit 1974 der deutschen Politik im internationalen Raum zu einem Ansehen und Einfluß verhelfen, wie es ihn seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gegeben hat. RAF-Terrorismus und Guillaume-Affäre, NATO-Doppelbeschluß und Koalitionswechsel, vor allem aber der Fall der Mauer und was er nach sich zog: die Zwei-plus-Vier-Gespräche, das Treffen im Kaukasus und der Vertrag mit Polen über die Oder-Neiße-Grenze - blickt man auf die letzten fünfundzwanzig Jahre deutscher Geschichte, wird man kaum ein Ereignis finden, mit dem Genscher nicht auf die eine oder andere Weise in Verbindung steht. Wie sieht das Leben dieses Mannes aus, was waren die Erfahrungen, die ihn geprägt haben? Es war eine politische Biographie von Anfang an. Geboren 1927, gehörte Hans-Dietrich Genscher zu jenen Jahrgängen, die als Generation der fünfzehnjährigen Flakhelfer noch in die letzten Gefechte des Zweiten Weltkriegs hineingezogen wurden. Genscher, im Frühjahr 1945 der sogenannten Armee Wenck zugeteilt, wurde dabei Zeuge des Ansturms, mit dem die Sowjetarmee von der Oder aus auf Berlin vordrang. Daß er damals nicht nach Osten, sondern mit Wenck nach Westen zu den Amerikanern zog, nennt er die politische Grundentscheidung seines Lebens.
Nach 1945 in seine Heimatstadt Halle zurückgekehrt, beginnt er zunächst ein Jura-Studium, das er noch in der Sowjetischen Besatzungszone abschließt. Vor allem aber faßt er 1946 einen Entschluß, der für sein Leben maßgeblich werden soll: Er wird Miglied der LDPD, der Liberal-Demo-
kratischen Partei Deutschlands. 1952 verläßt er die DDR, um nach Bremen zu gehen.
Von nun an ist seine Geschichte nicht mehr nur die eines jungen Mannes und semes Hochkommens. Die Rolle, die Genscher zunächst in seiner Partei, dann auch in der Bundespolitik spielt, gewinnt binnen kurzer Zeit erheblich an Bedeutung. Mitte der fünfziger Jahre wechselt er nach Bonn, wo er im Laufe von zwei Jahrzehnten eine jener Persönlichkeiten wird, die in der Weltpolitik Geltung haben. Außenminister, Staats- und Regierungschefs werden seine Gesprächspartner und engen Vertrauten, ja in vielen Fällen seine Freunde. In den Monaten, in denen sich die deutsche Vereinigung entscheidet, sind die Präsidenten Amerikas und der Sowjetunion, George Bush und Michail Gorbatschow, an seiner Seite. Wahrscheinlich hat das Vertrauen, das die Welt in die Bonner Politik setzte, fiir Deutschland niemals eine so große Rolle gespielt wie in jenen Tagen. Ein beträchtlicher Teil davon geht ohne Zweifel auf das Konto des Mannes aus Halle.
Als er im September 1989 auf den Balkon der Deutschen Botschaft in Prag trat, um den seit Wochen Wartenden zu sagen, daß ihre Ausreise endlich beschlossene Sache sei, fragte er in den aufbrandenden Jubel hinein: »Sind denn auch Hallenser da?« Für Hans-Dietrich Genscher schloß sich damals ein Kreis. Aber was immer er in seinem Buch auch berührt, sei es die Studentenrevolte oder das Geiseldrama während der Münchner Olympiade, die Kontroverse um die Pershings oder SDI, es ist bereits Geschichte geworden. So sind diese Erinnerungen vieles zugleich - ein persönliches wie ein politisches, ein erzählerisches wie ein analytisches Buch und das Resümee eines Lebens, dessen Bogen sich vom Untergang des alten Deutschlands über die Teilung des Landes bis zur Vereinigung zieht.
Am 3. Oktober 1990 erlebten wir vor dem Reichstag in Berlin die unvergeßliche mitternächtliche Stunde der deutschen Einheit. Man sagt, daß Menschen, die den Tod nahen sehen, ihr Leben noch einmal wie im Zeitraffer durchleben. Vielleicht geht es einem in einem Moment, der einmalig ist, genauso. Die Einheh war nicht von selbst gekommen. War sie ein Geschenk, wie so oft gesagt wird? Ja, wenn damit gemeint ist: ein Geschenk nach allem, was zwischen 1933 und 1945 in Deutschland geschehen und von Deutschen anderen Völkern angetan worden ist. Aber die Einheit hatten sich die Deutschen in Ost und West auch verdient - mit friedlichem Aufbau, mit der Schaffung einer freiheitlichen Demokratie im Westen und mit der friedlichen Freiheitsrevolution im Osten.
» Unser Außenminister war in unserer Welt die vertrauensbildende Maßnahme in Person. Das ist es, was sein Ansehen in der Welt begründet, damit hat er sich Vertrauen und Achtung bei seinen eigenen Mitbürgern erworben.«
Richard von Weizsäcker
Vissza