Fülszöveg
Die Auflösung des Sowjetimperiums hat längst auf deren islamische Republiken übergegriffen. Mindestens fünfzig Millionen Muslime leben auf dem Gebiet der zerfallenden Sowjetunion, jeder dritte Soldat der sowjetischen Streitkräfte bekennt sich heute zum islamischen Glauben.
Der Islam offenbart sich unter vielfältigen Gesichtern zwischen Kaukasus und Wolga, zwischen dem Kaspischen Meer und dem Hochland von Pamir. All diese Nationen streben nach der totalen Loslösung von Moskau, vom „Imperium", wie sie sagen, und mehrheidich fiaben sie ihre formelle Unabhängigkeit längst proklamiert.
Ein schmerzlicher, blutiger Prozeß ist in Gang gekommen. Im Kaukasus ist der Bürgerkrieg zwischen schiitischen Aser-beidschanern und christlichen Armeniern schon vor längerer Zeit ausgebrochen. Die Libanisierung ist vollzogen. In Zentralasien kündigen sich schier unlösbare Konfrontationen an, die einst durch die unsinnigen Grenzziehungen Josef Stalins wissenüich vorprogrammiert wurden.
Sogar die...
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Fülszöveg
Die Auflösung des Sowjetimperiums hat längst auf deren islamische Republiken übergegriffen. Mindestens fünfzig Millionen Muslime leben auf dem Gebiet der zerfallenden Sowjetunion, jeder dritte Soldat der sowjetischen Streitkräfte bekennt sich heute zum islamischen Glauben.
Der Islam offenbart sich unter vielfältigen Gesichtern zwischen Kaukasus und Wolga, zwischen dem Kaspischen Meer und dem Hochland von Pamir. All diese Nationen streben nach der totalen Loslösung von Moskau, vom „Imperium", wie sie sagen, und mehrheidich fiaben sie ihre formelle Unabhängigkeit längst proklamiert.
Ein schmerzlicher, blutiger Prozeß ist in Gang gekommen. Im Kaukasus ist der Bürgerkrieg zwischen schiitischen Aser-beidschanern und christlichen Armeniern schon vor längerer Zeit ausgebrochen. Die Libanisierung ist vollzogen. In Zentralasien kündigen sich schier unlösbare Konfrontationen an, die einst durch die unsinnigen Grenzziehungen Josef Stalins wissenüich vorprogrammiert wurden.
Sogar die Russische Republik Boris Jelzins wird durch das Aufbegehren der Tataren von Kazan, vor allem jedoch durch den unvermeidlichen Rassen- und Religionskonflikt zwischen Russen und Muslimen im angrenzenden Kasachstan an den Rand der existentiellen Krise gedrängt.
Noch ist der islamische Fundamentalismus eine Randerscheinung bei den Muselmanen der Sowjetunion. Zunächst schlägt einmal in Baku am Kaspischen Meer, in Kazan an der Wolga, im usbekischen Taschkent die Stunde der Nationalisten. Die Präsidenten der überwiegend islamischen Republiken, die sich einst durch kommunistische Linientreue hervortaten, drängen sich neuerdings an die Spitze jener patriotischen Sezessionsbewegung, die sie ansonsten verschlingen würde. Vielerorts wird der Ruf nach
Aufstellung eigener Streitkräfte und nach Entfaltung einer selbständigen Außenpolitik laut.
Doch schon treten eifernde Prediger auf, die das Konzept der Nation als eine verwerfliche, anti-islamische Vorstellung, als geistigen Import aus dem Westen verdammen. Sie fordern statt dessen die große brüderliche Gemeinschaft der islamischen „Umma", den gemeinsamen Gottesstaat aller Gläubigen, und ahnen nicht, daß auch diese Vision zum Scheitern verurteilt ist.
Dr. Peter Scholl-Latour, 1924 in Bochum geboren, studierte an den Universitäten Mainz, Paris und Beirut und promovierte zum Dr. phil. Seit 1950 arbeitet er als Journalist. Als Korrespondent der ARD hielt er sich von I960 bis 1963 in Afrika auf; danach leitete er bis 1969 das ARD-Studio in Paris, anschließend war er zwei Jahre Programmdirektor des WDR-Femsehens. 1975 übernahm er die Leitung des ZDF-Studios in Paris, die er bis 1983 innehatte. Danach wurde er Mitglied des Vorstands von Gruner + Jahr, bis 1984 war er Herausgeber und Chefredakteur des „stern".
Neben Fernseh-, Rundfunk- und Presseberichten über seine vielen Reisen an die Brennpunkte der Weltpolitik entstanden mehrere erfolgreiche Bücher zu verschiedenen Themenbereichen, u. a. die Bestseller „Der Tod im Reisfeld -Dreißig Jahre Krieg in Indochina" (1980), „Allah ist mit den Standhaften - Begegnung mit der islamischen Revolution" (1983), „Mit Frankreich leben" (1988), „Der Wahn vom Himmlischen Frieden" (1990) und „Das Schwert des Islam -Revolution im Namen Allahs" (1990).
Schutzumschlaggestaltung: Klaus Renner
Fotos: Adelheid Heine-Stillmark und Thomas Gutberiet
Das Erwachet! des Islam in der Sowjetunion
Längst haben sich im zerfallenden Sowjetreich auch die islamischen Fundamentalisten zu Wort gemeldet. Ein Prozeß mit oft bürgerkriegsähnlichen Ausbrüchen ist in Gang gekommen.
Zwar bestimmt noch immer das Streben nach Unabhängigkeit Denken und Handeln der führenden Politiker in den islamischen Randrepubliken. Und auch die verschiedenen Widerstandsbewegungen fordern bislang nur die Loslösung von Moskau.
Aber immer häufiger treten eifernde Prediger auf, die die fünfzig Millionen Muslime der Sowjetunion zum Kampf für den „gemeinsamen Gottesstaat aller Gläubigen" aufrufen.
Auf mehreren ausgedehnten Reisen vor und nach dem Putsch in Moskau hat Peter Scholl-Latour die Krisengebiete besucht. Sein Buch deckt das ganze Ausmaß der Bedrohung auf.
Vissza