Fülszöveg
Die Reise nach Ägypten ist für den 28jährigen Gustave Flaubert (1821 - 1880) eine unerwartete Gelegenheit, sein »vergangenes Leben mit einer tiefen Intensität wiederzukäuen«. Nach der Aufgabe des Jurastudiums und dem Scheitern der ersten literarischen Versuche an der Kritili der besten Freunde, muf3 der junge Herr eine Phase dumpfer, überreizter Empfindlichkeit bestehen, eine Depression »ohne Plan, ohne Idee, ohne Projekt, und was das Schlimmste ist, ohne Ehrgeiz«.
Er läßt sich gern von seinem Freund Maxim du Champ (einem der ersten bedeutenden Fotografen) zur Fahrt nach dem schwarzen Erdteil verfuhren, um dort in dem ihm fremden Leben unterzutauchen. Der große schöne Reiz des Ägyptischen Tagebuchs ist »das Unmittelbare, nicht nur die Wirklichkeit, die der Reporter mitbringt, sondern die Wahrheit, die sich einem Empfindsamen einprägt. Flaubert hat das Tagebuch gelassen, wie er es notiert hat. Bei diesem Schwerarbeiter des Stils, bei diesem Besessenen des vollendeten Satzes, der...
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Fülszöveg
Die Reise nach Ägypten ist für den 28jährigen Gustave Flaubert (1821 - 1880) eine unerwartete Gelegenheit, sein »vergangenes Leben mit einer tiefen Intensität wiederzukäuen«. Nach der Aufgabe des Jurastudiums und dem Scheitern der ersten literarischen Versuche an der Kritili der besten Freunde, muf3 der junge Herr eine Phase dumpfer, überreizter Empfindlichkeit bestehen, eine Depression »ohne Plan, ohne Idee, ohne Projekt, und was das Schlimmste ist, ohne Ehrgeiz«.
Er läßt sich gern von seinem Freund Maxim du Champ (einem der ersten bedeutenden Fotografen) zur Fahrt nach dem schwarzen Erdteil verfuhren, um dort in dem ihm fremden Leben unterzutauchen. Der große schöne Reiz des Ägyptischen Tagebuchs ist »das Unmittelbare, nicht nur die Wirklichkeit, die der Reporter mitbringt, sondern die Wahrheit, die sich einem Empfindsamen einprägt. Flaubert hat das Tagebuch gelassen, wie er es notiert hat. Bei diesem Schwerarbeiter des Stils, bei diesem Besessenen des vollendeten Satzes, der wohlausgewogenen Seite, ein erstaunlicher Vorgang. Aber der Meister, der er war, wußte zu gut, daß die Aufzeichnungen während der Reise in all ihrer Impression und Flüchtigkeit Stil hatten und daß jede Bearbeitung ihnen etwas nehmen würde: die Gunst des Augenblicks« (Koeppen). Flaubert notiert: »Ich trage die Melancholie der barbarischen Völker in mir, mit ihrem Wandertrieb und ihrer angeborenen Unlust am Leben, die sie ihre Länder verlassen ließ, als würden sie dadurch ihrer selbst ledig«. Die Reise nilaufwärts bis zu den Kolossalmonumenten von Abu Simbel dauert Wochen. Zuweilen begegnet man einer Ouß-abwärts fahrenden Canja (Hausboot) mit einem Engländer. »Melancholischer Eindruck: einer kreuzt des anderen Weg, ohne ein Wort zu sagen. Am Uferrand Stelzvögel in langer Reihe; wenn man am sandigen Ufer aussteigt, sieht man die zahllosen Spuren ihrer langen, dünnen Füße. Am Himmel Scharen von Vögeln, die sich wie eine ungeheure, losgelöste Peitschenschnur entfalten; das zieht durch die Luft wie
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eine lose Leine, die vom Wind hin und her getrieben wird. Keine Berge zur Rechten, auf dem linken Ufer einförmige Reihen von Palmen; die Böschung ist grau«. Im März erreichen sie Assuan: »Eingeborene kreuzen den Fluß, indem sie auf Rohrbündeln oder auf Palmstämmen wie Tritonén durchs ¦
Wasser fahren und nur mit einem breiten Ruder paddeln. Der nackte schwarze Körper glänzt bis zum Gürtel auf den Fluten. Man legt dazu am Ufer sein Hemd ab und rollt es turbanartig um den Kopf.« Ausgerechnet in Abu Simbel stöhnt der ungewöhnliche Reisende: »Die ägypuschen Tempel langweilen mich fürchterlich!« Aber wem ist das auf Kunstreisen nicht ebenso gegangen, beim 37. Tempel! Flaubert notiert trotzdem genau die charakteristischen Eigenarten der Tempel, der Moscheen und Ruinen und macht sich sein eigenes Bild: »Alles in Ägypten scheint für die Architektur geschaffen: Bodenform, Vegetation, menschlicher Körperbau, Linien des Horizonts«. Als sie im Galopp von Abusir nach Memphis zurückkommen und auf dem Teppich liegend ihre Notizen vergleichen, während die Flöhe aufs Papier springen, warten sie auf den Sonnenuntergang, bei dem sich »die Schatten der Palmen über die großen, verschwundenen Fliesen (der Tempel) legen«. Das stärkste Interesse Flauberts gehört den Menschen, den Eingeborenen, den eingedrungenen Weißen, den Schwarzen, den Sklavenhändlern und ihren Opfern, den Tänzerinnen und Kurtisanen und nicht zuletzt den Frauen, die weinen, wenn ihnen Haarstränge mit ihrem Schmuck abgeschnitten werden, weil die Männer zehn Piaster fürjeden Strang bekommen.
Dieser urwüchsige Normanne, der saftigen Genüssen nicht abhold ist, begibt sich nach der Rückkehr von seiner Orientreise in mönchische Zurückgezogenheit, umjenen Stil zu finden, der Eindrücke, Formen, Farben, Begebenheiten in Sprache zu verwandeln und zu bewahren vermag, jene Sprachform, die ihn zum Meister und zum großen Erzähler machte.
Umschlaggestaltung: Alfred Krugmann Umschlagbild: Die große Pyramide von Gizeh Illustration aus C.R. Lepsius . „ ^ocotf
»Denkmäler aus Ägypten und Äthiopien« Berlin 185b ri. Bayerische Staatsbibliothek München
Vissza