Briefwechsel 1900-1949

Fülszöveg

„. . . Es waren schwere Tage, die
hinter uns liegen, aber nun sind
wir über dem Berg und werden
besser gehen, - zusammen, wenn
Dir s ums Herz ist, wie mir." Diese
wenigen Zeilen Thomas Manns an
seinen Bruder Heinrich beendeten
den jahrelangen Zwist zwischen zwei
großen deutschen Schriftstellern.
Den Weg in die Literatur hatten
beide noch mit gemeinsamen Plänen
begonnen. Nach den ersten lite-
rarischen Erfolgen um die Jahr-
hundertwende traten jedoch bald
die Unterschiede in ihren künst-
lerischen Auffassungen zutage. Der
lange zurückgehaltene Gegensatz
ihrer Ansichten über die Kunst
und ihre gesellschaftliche Funk-
tion, die den einen, Thomas Mann,
im Konservatismus beharren ließ,
den anderen, Heinrich Mann, zur
politischen Veränderung der Ge-
sellschaft drängte, brach offen aus,
als der erste Weltkrieg zu einer
Entscheidung zwang. Der Streit
zwischen den Brüdern wuchs über
persönliche Differenzen hinaus und
widerspiegelte exemplarisch die... Tovább

Fülszöveg

„. . . Es waren schwere Tage, die
hinter uns liegen, aber nun sind
wir über dem Berg und werden
besser gehen, - zusammen, wenn
Dir s ums Herz ist, wie mir." Diese
wenigen Zeilen Thomas Manns an
seinen Bruder Heinrich beendeten
den jahrelangen Zwist zwischen zwei
großen deutschen Schriftstellern.
Den Weg in die Literatur hatten
beide noch mit gemeinsamen Plänen
begonnen. Nach den ersten lite-
rarischen Erfolgen um die Jahr-
hundertwende traten jedoch bald
die Unterschiede in ihren künst-
lerischen Auffassungen zutage. Der
lange zurückgehaltene Gegensatz
ihrer Ansichten über die Kunst
und ihre gesellschaftliche Funk-
tion, die den einen, Thomas Mann,
im Konservatismus beharren ließ,
den anderen, Heinrich Mann, zur
politischen Veränderung der Ge-
sellschaft drängte, brach offen aus,
als der erste Weltkrieg zu einer
Entscheidung zwang. Der Streit
zwischen den Brüdern wuchs über
persönliche Differenzen hinaus und
widerspiegelte exemplarisch die
Auseinandersetzungen zwischen den
auf Vergangenem beharrenden und
den eine neue Gesellschaft fördern-
den Kräften. Thomas Mann durch-
lebte die größte geistige Krise seines
Lebens, die ihn jedoch zur Erkennt-
nis führte, daß der Mensch um der
Güte willen dem Tod keine Herr-
schaft einräumen dürfe über seine
Gedanken. Der Weg für eine er-
neuerte Brüderlichkeit war frei. Ge-
meinsamkeit bestimmte von nun
an die Positionen, von denen aus
beide den geistigen und politischen
Problemen der Zeit Rede und Ant-
wort standen. Thomas Mann ist
es jetzt, der, als der Faschismus
Gewalt über Deutschland gewann,
den älteren Bruder an Aktivität
übertrifft. Am Ende ihres Lebens
hat sich der Kreis geschlossen, so
daß Heinrich seinem Bruder wäh-
rend einer lebensgefährlichen Er-
krankung schreiben konnte: „Da
ist einer, dem es sinnlos vorkäme,
weiterzumachen ohne Dich."
Die Neuausgabe dieses im Auftrag
der Deutschen Akademie der Künste
zu Berlin von Ulrich Dietzel her-
ausgegebenen Briefwechsels fußt
auf der 1965 zuerst erschienenen
Edition, die 125 Briefe enthielt. Sie
ist um 47 inzwischen neu aufge-
fundene Briefe von Thomas Mann
auf 172 erweitert und um jene
öffentlichen Würdigungen ergänzt
worden, die sich die Brüder gegen-
seitig darbrachten. Erstmals sind
hier auch aufschlußreiche Briefe der
Mutter Julia Mann aufgenommen,
die zum tieferen Verständnis des
brüderlichen Verhältnisses beitra-
gen. In einer zur Zeit größtmög-
lichen Vollständigkeit liegt damit
die wohl wichtigste Dokumentation
zu einem erregenden Kapitel deut-
scher Literaturgeschichte vor. Vissza